Markus Brozio:
"Anwendung des Dualen Entwurfs auf die Entwicklung eines robotergesteuerten 3D-Nähsystems" (Auszug)

9 Ausblick

9.1 Industrielle Anwendung der 3D-Nähtechnik

Für die industrielle Anwendung des entwickelten Integrierten 3D-Nähsystems gibt es, wie im vorherigen Kapitel gezeigt, vielfältige Perspektiven in allen Bereichen der nähenden Industrie, wobei im Kern immer die Fertigung größerer Stückzahlen gleicher bzw. ähnlicher Teile stehen muß. Aufgrund der dramatischen Lage der bundesdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (vgl. Kapitel 2) und der Neuartigkeit der Technologie stößt die 3D-Nähtechnik auf große Skepsis bei den potentiellen Anwendern. Bei einer vom HDZ/IMA der RWTH durchgeführten Nutzwertanalyse, die auf der Gewichtung einer großen Anzahl von Kriterien beruht, wurde die 3D-Anlage für Autositze von den befragten Experten der Sitzhersteller schlechter eingestuft als die bestehende Fertigungsmethode. Eine Ursache für diese Einschätzung ist die fehlende Vorstellung von einem System, das noch nicht existiert (Desery 1998).

Um den direkten und indirekten Auswirkungen des industriellen Einsatzes Integrierter 3D-Nähsysteme in ihrer ganzen Tragweite gerecht zu werden, bedarf es einer ganzheitlichen Sichtweise, die über die gesamte textile Kette vom Rohstoff bis zum Kunden führt. Solche Nähsysteme sollten Bestandteil einer integrierten textilen Kette sein, in der sich die zukünftige Aufgabenverteilung gegenüber der heutigen verändern kann. Durch technische und organisatorische Vernetzungen innerhalb der textilen Kette können die steigenden Kundenanforderungen des Handels bzw. der Endkundinnen und –kunden bezüglich Qualität, Lieferzeiten, Verkaufs- und Produktschulung, Marketingunterstützung und Individualität befriedigt werden. Die Folge kann eine Verlagerung der Nähereien in Richtung Handel oder umgekehrt in Richtung Tuchmacher sein. Aufgabenveränderungen wird es auch durch die verstärkte Rechner- und Internetnutzung durch die Endkunden geben.

In sogenannten Hochlohnländern hat die Bekleidungsfertigung nur im Bereich der hochwertigen, individuellen und höherpreisigen Konfektion eine Zukunft. Ein starkes Argument für die Fertigung z. B. in Deutschland sind die kurzen Transportzeiten und somit die kurzfristige Lieferbarkeit individuell gefertigter Bekleidung.

Aufgrund der fehlenden Realisierung eines industriellen Prototypen konnten die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in Integrierten 3D-Nähsystemen noch nicht untersucht werden. Eine erste Einschätzung auf der Basis der Methode des Erweiterten Dualen Entwurfs ist jedoch möglich und wird im folgenden vorgestellt.

9.2 Auswirkung auf die Arbeitsplätze

[...]

9.3 Perspektiven der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie

Zum Abschluß dieser Arbeit werden als Ergebnis die wichtigsten Trends, die die Perspektive der textilen Branche in der Bundesrepublik Deutschland prägen werden, zusammenfassend aufgezeigt.

In der gesamten Kette werden sich unterschiedliche Netzwerke bilden, denn "alle Partner können voneinander partizipieren und somit Arbeitsplätze erhalten und auch neue Arbeitsplätze schaffen" (Wulfhorst 2000). Im Bereich der Bekleidung "wird der Handel [langfristig] die Aufgaben der Konfektion übernehmen, die Konfektion wird sich auf bestimmte Funktionen wie z. B. modische Produktentwicklung konzentrieren müssen" (Matrix 1997). Die einzelnen Netzwerke können innerhalb eines Zweigs der Branche, z. B. zwischen einzelnen Maschinenherstellern zur Lieferung von Komplettanlagen, oder übergreifend gebildet werden. Ein Anwendungsgebiet sind Prozeßleitsysteme für die gesamte textile Fertigungskette, die schließlich zu einem "komplexen, leistungsfähigen Qualitätssicherungs- und Prozeßleitsystem" führen werden (Wulfhorst 2000).

In der Bekleidungsindustrie wird der größte Teil der noch in Deutschland verbliebenden Fertigung von preissensitiver Massenkonfektion ins Ausland verlagert werden (Textil-Wirtschaft 2000). Dabei wird die Auswahl der Produktionsstandorte konsequent nach den dortigen Fertigungskosten erfolgen, so daß es keine dauerhafte Festlegung auf ein bevorzugtes Land geben wird (Geinitz 1998). Die einfache Technik der Nähereien ermöglicht kurzfristige Standortwechsel. Am Standort Deutschland bzw. Europäische Union wird die Fertigung hochwertiger bzw. hochmodischer Bekleidung, die individuelle Kundenwünsche befriedigt, verbleiben. Die Voraussetzung hierfür sind funktionierende Netzwerke zwischen den beteiligten Unternehmen einschließlich des Handels. Bei entsprechend hohen Mengen bietet sich hier auch eine Chance für den Einsatz der 3D-Nähtechnik in der Bekleidungsindustrie.

Die Automobilindustrie mit ihrer sehr großen Anzahl gleicher Produkte bietet sich für die Anwendung Integrierter 3D-Nähsysteme im besonderen an. Zukünftige Weiterentwicklungen der 3D-Nähtechnik werden sich voraussichtlich auch auf diesen Bereich konzentrieren (Brozio 1998).

Die Betriebsmittelhersteller werden die Leistungsfähigkeiten ihrer Maschinen weiter erhöhen, indem sie vorhandene Technologien weiterentwickeln oder völlig neue Maschinen auf den Markt bringen werden (Wulfhorst 2000). Dabei wird ein zunehmender Anteil der Maschinen im Bereich der technischen Textilien eingesetzt werden, wie z. B. in der Möbelindustrie, der Verpackungsindustrie oder der Land- und Forstwirtschaft (Straub 2000).